Klar: Häuser und Städte sind für Menschen errichtet. Aber welche Stimme hat die breite Bevölkerung als zukünftige Bewohnerinnen und Nutzer in Architektur und Städtebau? Wie lässt sich das eigene Lebensumfeld mitgestalten? Partizipation lautet hier das Schlüsselwort. Ortsplanungen lassen sich kaum noch ohne vorgelagerten Mitwirkungsprozess umsetzen, bei genossenschaftlichen Wohnsiedlungen ist die Mitsprache künftiger Mieterinnen und Mieter schon Standard.
Dennoch bestehen viele Vorurteile. Hier die Kritik: Architekturschaffende glauben, allwissend zu sein, und planen dabei Häuser, in denen sie selbst nicht wohnen würden. Dort die Überzeugung: Partizipation sei ein leeres Versprechen, das Bauprozesse bloss verkompliziere. Tatsächlich kann Partizipation aber auf Probleme hinweisen, die Planende vielleicht übersehen, und ungeahnte Lösungen bereit halten. Sie kann Kreativität freisetzen, Kommunikation fördern und zu lebenswerten und inklusiven Städten beitragen. Um vom Wissen der Vielen zu profitieren, müssen Prozesse klug gestaltet sein. Planende müssen die richtigen Fragen stellen, Darstellungen und Formate finden, die verständlich sind und Spass machen. Dafür sind neue Fertigkeiten gefragt. Fachleute, die ergebnisoffen und interdisziplinär arbeiten, die sowohl vermitteln und moderieren als auch zuhören, aushandeln und aushalten können. Das bereichert auch das Berufsbild der Architektur mit neuen Aufgaben und Kooperationen.
Ganz neu sind diese Ideen nicht: Bereits im Social Turn der 1970er Jahre erfanden Architekten wie Simone und Lucien Kroll ihre eigene Rolle neu, sahen sich selbst mehr als Mediatoren statt als Autorität. Beim Entwurf eines Wohnheims in Woluwe-Saint-Lambert bei Brüssel definierten sie ein Raster, in dem die Studierenden ihre Wohnräume in Eigeninitiative zusammenbauen konnten. Heute ist Partizipation gänzlich in der Planung angekommen: von der gemeinschaftlichen Ausgestaltung von Freiräumen über gespielte Stadtplanung bis hin zur Mitgestaltung von Lernräumen durch Schulkinder. Auch die E-Partizipation steht in den Startlöchern. Digitale Stadtmodelle, die über künftige Projekte informieren und von allen kommentiert werden können, sind erst der Anfang. — Jasmin Kunst
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