Während meiner Studienzeit vor etwa 20 Jahren verschwanden wir jeweils zu Beginn des Semesters in die Bibliothek und durchsuchten die dort versammelten Bücher nach möglichen räumlichen, typologischen und volumetrischen Referenzen für die gestellte Bauaufgabe. So konnten wir tief in die historische und zeitgenössische Baukultur eintauchen und Inspirationen für unsere Entwurfsarbeiten sammeln.
Heute hat sich ein grosser Teil dieser Recherchearbeit ins Internet verlagert. Im stark strukturierten Studium und im dichten Büroalltag fehlt oft die Zeit für lange Recherchen in einer Bibliothek. Die Vermittlung der Baukultur verlagert sich daher von den analogen zu den digitalen Bibliotheken. Zur Pflege der Baukultur gehört also immer mehr ihre Abbildung in den digitalen Bibliotheken und Archiven.
Mehrere spannende Projekte laufen bereits auf dem Gebiet der Digitalisierung unserer Baukultur: Auf attention:ch wächst eine Online-Datenbank zur Schweizer Architektur, in der historische und zeitgenössische Bauten mit Bildern, Plänen und Daten gesammelt werden. Attention:ch möchte auch die Besichtigung der aufgeführten Bauten fördern und es wird deshalb in Zukunft auch eine mobile Version der Datenbank geben.
Die Baugedächnis der ETH versammelt alle grösseren in der Schweiz publizierten Zeitschriften zum Bauen und zur Architektur. Mit der Volltextsuche in allen Jahrgängen der Zeitschriften bietet das Baugedächnis ein ausgezeichnetes Rechercheinstrument.
Neben diesen beiden umfassenderen Datenbanken gibt es auch thematische Sammlungen, wie den Wohnbauatlas der Fachhochschule Fribourg, in dem jedes Semester neue Analysearbeiten der Studierenden zum Wohnungsbau integriert werden. Der Wohnbauatlas nutzt die neuen Möglichkeiten des Mediums Internet: Die Analysen können nach typologischen Kriterien ausgesucht und geordnet und in zahlreichen Massstäben betrachtet werden.
Das Material Archiv ist eine Kombination von acht realen Materialsammlungen, welche über eine gemeinsame digitale Online-Datenbank verknüpft sind. Die Recherche kann im Internet beginnen und danach können die Muster in den realen Materialsammlungen besichtigt werden. Das vorbildliche am Material Archiv ist die Zusammenarbeit von acht Lehr- und Forschungsinstitutionen in einem Netzwerk und die Kombination von digitalem mit realem Archiv.
Es ist äusserst wichtig, dass wir diese und weitere Projekte zur Digitalisierung der Baukultur weiterentwickeln und aktiv fördern, damit die Baukultur in der digitalen Welt ein würdiges Abbild erhält. Das digitale Abbild der Baukultur ist ein wichtiger Teil der Baukultur. Wenn wir nicht selber an diesem Abbild arbeiten, wird dieses von Medien- oder Internetkonzernen erstellt, welche eher kommerzielle als kulturelle Interessen verfolgen.
Verfasser: Stanislas Zimmermann