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BSA Bern, Architektur verstehen,

Verkannte Radikalität

Verkannte Radikalität

Verkannte Radikalität

In seiner kompromisslosen Hinwendung zum Kunstwerk war der Neubau für das Berner Kunstmuseum durch das Atelier 5 ein Meilenstein im europäischen Museumsbau. Beim Publikum wenig beliebt, steht er im gegenwärtig laufenden Projektwettbewerb zur Disposition. Grund genug, den Bau zu würdigen und damit anzuregen, ihn vielleicht ein letztes Mal zu besichtigen.

Eugen Stettler erstellte das Berner Kunstmuseum 1876–78 an der Nordflanke der Altstadt. Zwischen kräftigen Risaliten öffnet sich der gedrungene klassizistische Bau zur Hodlerstrasse mit einem imposanten Mittelteil, der das grosse Zugangsportal mit ausladender Freitreppe als markantes Zeichen des Eingangs aufnimmt. Die Ausstellungsräume fügen sich um die imposante Treppenhalle.
Dem Kunstmuseum wurde 1932–36 nach Plänen von Karl InderMühle gegen Osten ein niedriger Anbau mit mehreren Untergeschossen zugefügt.
An der Stelle des InderMühle-Baus erstellte das Atelier 5 1981–83 einen wesentlich grösseren Erweiterungsbau. Das Projekt bezog sparsam und nachhaltig die bereits bestehenden Untergeschosse ein, bewahrte das 1936 entstandene Amiet-Fresko an seinem ursprünglichen Standort und entwickelte sich mit zusätzlichen Untergeschossen und grösserer Gebäudetiefe in den Aarehang hinaus. Als Mitglied der Museumskommission hatte der Schreibende damals Gelegenheit, sich mit den Autoren des Projekts über ihre Entwurfsgedanken auszutauschen.

Zurückhaltung als Entwurfsmaxime
Das Atelier 5 hatte sich für den neuen Anbau an das Kunstmuseum mit einem komplexen Raumprogramm auseinanderzusetzen. Es waren nicht nur zwei Hauptgeschosse mit Ausstellungsräumen, verbunden mit dem bestehenden, tiefer liegenden dritten Ausstellungsgeschoss sowie ein Kinosaal vorzusehen. Hinzu kamen ausgedehnte Räume für die grafische Sammlung sowie die Verwaltung des Kunstmuseums. Zudem waren die Räume des kunsthistorischen Instituts der Universität mit dessen Bibliothek unterzubringen. Der vergleichsweise knappe Kostenrahmen, der einzuhalten war, bot zusätzliche Schwierigkeiten.
Beim Bauen im Kontext mit wertvoller historischer Substanz nahm das Atelier 5 eine Grundhaltung ein, die auf einem dialektischen Verhältnis zwischen Bestand und eigenständigem Neubau beruht. Dabei blieb das Primat dem Altbau. So wurde es dem Atelier 5 im Verlauf der Projektierung des neuen Anbaus immer wichtiger, ihn gegenüber dem historischen, von ihm nicht angetasteten Museumsbau zurückzunehmen, obwohl verglichen mit dem InderMühle-Bau ein zusätzliches Ausstellungsgeschoss zu planen war. Diese Haltung zeigt sich darin, dass der jüngere Bau leicht unter der Traufhöhe des älteren bleibt und sich die mit grauem Metall verkleideten Fassaden optisch unterordnen. Auch wurden die Fassade zur Hodlerstrasse weitgehend beibehalten und das neue Obergeschoss kräftig zurückgesetzt.
Es war den Architekten ein Anliegen, die südöstliche Gebäudeecke des Altbaus wieder freizulegen. Die strassenseitige Wand und teilweise das Glasoberlicht des InderMühle-Baus hatten sie verdeckt und im Zug dieser Massnahme waren grössere Teile zu rekonstruieren. Die neu geschaffene Zäsur zwischen Stettler-Bau und Neubau lässt den Altbau wieder als eigenständigen Körper wirken.
Der Respekt gegenüber dem historischen Museumsgebäude zeigt sich nirgends so deutlich wie im Entscheid, den bestehenden Eingang mit Portal und Freitreppe beizubehalten. Den Architekten wie den Betreibern war klar, dass damit für das nun vergrösserte Museum recht enge Verhältnisse entstehen und die Anordnung von Kasse, Shop und Café nicht ideal lösbar sein würden. Die betrieblichen Schwierigkeiten wurden indessen in Kauf genommen und auf den während einiger Zeit diskutierten neuen Eingang an der Nahtstelle zwischen alt und neu verzichtet. Damit blieb die architektonische Inszenierung des Eingangs von Eugen Stettler in das historische Gebäude als Zentrum des Museumskomplexes erhalten. Hauptbau und Anbau blieben in ihrer Hierarchie klar definiert.

Das Kunstwerk, nicht die Architektur im Zentrum
In der Überarbeitung des Wettbewerbsprojekts zum Bauprojekt verdeutlichte sich die Haltung, dass der Museumsbau nicht primär architektonisches Monument, sondern Instrument zur optimalen Präsentation von Kunstwerken sein soll. Diese nicht auftrumpfende, sondern dienende Auffassung einer Architektur im Hintergrund unterscheidet sich diametral von gleichzeitigen Museumserweiterungen wie der Staatsgalerie in Stuttgart von James Stirling.
Die entwerferische Grundhaltung des Atelier 5 führte zunächst zu Ausstellungsräumen, die weitgehend flexibel unterteilt werden können. Die raumhohen, verschiebbaren Zwischenwände können innerhalb des Konstruktionsrasters frei angeordnet werden, wirken aber dennoch massiv und stabil. Auf jegliche Gliederung der Wände wurde verzichtet.
Es gibt im Neubau zudem keine monumentale Treppenanlage als architektonische Inszenierung. Eine feingliedrige Stahltreppe verbindet die beiden Ausstellungsebenen im zentralen doppelgeschossigen Raum, der die Mitte des Neubaus bildet und durch eine diagonal verlaufende Passerelle zwischen Altbau und neuen Ausstellungsräumen gegliedert ist. Dieser zentrale Raum bietet den Besuchenden eine einfache Orientierung.
Die Beleuchtung der Kunstwerke ist in erster Linie als Schräglicht von oben auf die Wände konzipiert, das eine optimale Ausleuchtung von zweidimensionalen, an den Wänden befestigten Kunstwerken erlaubt und mit vergleichbarer Wirkung mit natürlichem und künstlichem Licht arbeitet. Für im Raum aufgestellte Objekte oder spezielle Effekte sind Punktleuchten vorgesehen.
Das Konzept des Kunstmuseums ist noch heute gut nutzbar. Letzte Ausstellungen wie «Gurlitt. Eine Bilanz» oder «Katharina Grosse, Studio Paintings» waren in ihrer Eindrücklichkeit nur dank der hohen Anpassungsfähigkeit, dem hohen Zentralraum und den vielseitigen Beleuchtungsmöglichkeiten denkbar.

Zusammenarbeit
Von Anbeginn haben die Architekten ihr Projekt mit Fachleuten verschiedener Bereiche entwickelt. Gemeinsam sind innovative und wegweisende Lösungen entstanden. Den wohl wichtigsten Einfluss hatte der Basler Künstler Rémy Zaugg. Er war massgeblich beteiligt am Konzept der neutral gehaltenen, flexibel nutzbaren und ideal beleuchteten Räume. In unzähligen Versuchen entwickelte er zudem den grauen Farbton, die Farbtechnologie und die Anstrichmethode für die Wandbehandlung.
Grossen Einfluss auf das Projekt hatte auch der Lichtplaner Christian Bartenbach aus Innsbruck, der die innovative Zenitalbeleuchtung der Wände mit Spiegelrasterleuchten entwickelte. Der Ausstellungsraum ist mit dieser Auslegung nicht gleichmässig hell, vielmehr stehen die Betrachtenden im dunkleren Raum und sehen das hell erleuchtete Kunstwerk, nehmen es dadurch auch in seinen Einzelheiten besser wahr. In den Oberlichtsälen arbeitet das Konzept mit einem ausgeklügelten System von Tageslicht-Reflektoren aus poliertem Aluminium und Lenkrastern, in den Erdgeschosssälen auch mit Beleuchtungsbändern. Damit garantiert es eine gleichmässige und blendfreie Ausleuchtung der Kunstwerke, führt im Erdgeschoss allerdings zu unerwünschtem Mischlicht.
Für die Gestaltung des Museumscafés war der Berner Innenarchitekt Hans Eichenberger verantwortlich. Er gestaltete es in Schwarz- und Weisstönen mit prägnanter Bartheke, spiegelnder Wand und von ihm entworfenen Möbeln. Es ist ein eindrücklicher Raum von hoher Eleganz und eigener Atmosphäre, das wohl schönste Café Berns.

Rezeption
Die klare Haltung eines Kunstmuseums für die Kunst, nicht für die Architektur stiess auf grosses Interesse, kaum eine Fachpublikation, die sich dem neuen Erweiterungsbau nicht gewidmet hätte. Die Kommentare fielen unterschiedlich aus. Während die einen die Konzentration auf die Kunstwerke und deren perfekte Beleuchtung sowie die Zurückhaltung der funktionalistischen Architektur lobten, kritisierten die anderen die Ausrichtung des Baus zu einer «machine à contempler», die mächtigen Oberlichter an der Decke und die atmosphärische Kühle der Räume. Gelobt, aber auch kritisch hinterfragt wurde die Radikalität, mit der die Grundidee, die den Atelier-5-Bau zu einem Referenzbau machten, umgesetzt wurde.
Beim Berner Publikum ist der Erweiterungsbau nie richtig angekommen. Besuchende des Museums kritisieren eine steril wirkende Atmosphäre, die knappen Ausblicke, die ungegliederten grauen (später weissen) Wände. Zur Ablehnung mögen auch die nach kurzer Nutzungszeit nötig gewordene Instandsetzung und deren Kosten beigetragen haben. Die oben aufgeführten Qualitäten traten und treten dadurch zu rasch und ohne Abwägung in den Hintergrund, auch bei der heutigen Museumsleitung.
Heute ist der Bau des Atelier 5 in einem Zustand, der im Sinn von Nachhaltigkeit und Sparsamkeit nach den nötigen Unterhaltsarbeiten weitere Jahrzehnte der Nutzung zulassen würde. In spartanischer Nüchternheit verschliesst er sich jeglicher Opulenz. Seine radikal klare Haltung, das Kunstwerk, nicht die Architektur ins Zentrum zu stellen, genügt indessen im Wettbewerb der Städte offenbar nicht mehr.

Bernhard Furrer, Architekt ETH, SIA, ass. BSA, Bern

Eine Langversion dieses Artikels finden Sie auf der Website: bernhard-furrer.ch

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 10/2024.

Literatur
Siegfried Moeri: Kunstmuseum Bern, Bauhistorisches Gutachten. Burgdorf 2018.
Rémy Zaugg: Für das Kunstwerk. Zürich 1983.