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Blockade gelöst

Blockade gelöst
Bild: Fabien Schwartz

Caspar Schärer, Andreas Sonderegger

Es ist vollbracht: In der Herbstsession der Eidgenössischen Räte räumte der Nationalrat die letzten Differenzen bei der Revision des Umweltschutzgesetzes USG aus; Kernstück der Revision sind Lockerungen des bauseitigen Lärmschutzes für Wohnungsbauten. Die wichtigste Neuerung der Vorlage gleich vorweg: Es wird deutlich einfacher, am Lärm Wohnungen zu bauen. So wird neu eine Baubewilligung erteilt, wenn «bei jeder Wohneinheit mindestens die Hälfte der lärmempfindlichen Räume über ein Fenster verfügt, bei dem die Immissionsgrenzwerte eingehalten sind» (im neuen Art. 22 Abs. 2 lit. a USG). Diese Regelung entspricht in etwa der bewährten Lüftungsfensterpraxis einiger Kantone.

Neu hinzu kommt die Möglichkeit, mit kontrollierter Lüftung zu arbeiten (Art. 22 Abs. 2 lit. a0). Wird also eine kontrollierte Lüftung installiert, genügt es, wenn die am offenen Fenster gemessenen Grenzwerte in einem lärmempfindlichen Raum pro Wohnung eingehalten werden – oder ein Kühlsystem vorhanden ist. Der Entscheid der Parlamentsmehrheit führt zwar zu einer Klärung und Entspannung einer zuvor verfahrenen rechtlichen Situation, wird aber kaum zu mehr Qualität im Wohnungsbau an lärmbelasteten Lagen führen, wohl eher im Gegenteil.

Ein kurzer Blick zurück: Mitte der 2010er Jahre geriet die Wohnbautätigkeit insbesondere in der Region Zürich ins Stocken. Einer der vielen Gründe dafür war eine strenge Praxis des Bundesgerichts bei der Auslegung des Lärmschutzes. Warum mussten sich die Gerichte überhaupt mit dem Lärmschutz befassen? Weil einerseits wegen des grossen Siedlungsdrucks zunehmend lärmbelastete Grundstücke in den Fokus gerieten und andererseits findige Anwälte den Lärmschutz als Argument für die Einsprachen von Nachbar:innen entdeckten.

Der Nationalrat Beat Flach (glp, AG) adressierte dieses Dilemma mit der Motion «Siedlungsentwicklung nach innen nicht durch unflexible Lärmmessmethoden behindern», die 2016 eingereicht und 2018 von den eidgenössischen Räten überwiesen wurde. Dann begann die Maschinerie zu arbeiten – langsam, sehr langsam, fast aufreizend langsam. Nach Entwürfen, Vernehmlassungen und Stellungnahmen unterschrieb der Bundesrat die Botschaft zur Gesetzesänderung. Der BSA half in dieser ersten Phase, Hand in Hand mit den Lärmschutzexpert:innen der Kantone, eine Vorlage mit einer sehr moderaten Lockerung zu entwickeln. Bauherren und Architekt:innen sollte es nicht zu leicht gemacht werden. Schliesslich – und das haben alle Beteiligten ohne daran zu zweifeln anerkannt – ist übermässiger Lärm ein ernsthaftes Problem.

Im Verlauf des Jahres 2023 erreichte die Vorlage National- und Ständerat, deren Zusammensetzungen sich bei den Wahlen im Herbst 2023 signifikant verändert hatten. Das neue Parlament, beziehungsweise dessen Mehrheit, hatte eigene Pläne mit der Lärmschutz-Vorlage. Während der Nationalrat noch einigermassen an der bundesrätlichen Vorlage festhielt, die mehr oder weniger die Übernahme der bewährten Lüftungsfensterpraxis vorsah, «entdeckte» die vorberatende Kommission des Ständerats die kontrollierte Lüftung. Dabei spielte es offenbar keine Rolle, dass die kontrollierte mechanische Lüftung in Wohnbauten in erster Linie verhindern soll, dass im Winter durch eigenhändiges Lüften zu viel Heizwärme verloren geht. Der Ständerat übernahm die Lesart seiner Kommission und wich nicht mehr davon ab. Und so kommt es, dass der neu eingefügte Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe a0 des Umweltschutzgesetzes die kontrollierte Wohnraumlüftung als valable Massnahme zum Schutz vor übermässigem Lärm vorsieht – und zwar in jedem einzelnen Zimmer.

Aus Sicht des BSA ist dieses Ergebnis zweischneidig. Natürlich freut er sich, dass eine rechtliche Blockade gelöst werden konnte. Neben der Regelung mit der kontrollierten Lüftung stehen neu weitere Varianten zur Gestaltung eines Lärmgrundrisses zur Verfügung. Dennoch bedauert der BSA, dass dieser Lockerungsschritt ohne Anspruch auf Qualität erfolgt. Lärm verursacht gravierende gesundheitliche Probleme, genauso ist eine gute Wohn- und Lebensqualität und ein angenehmes Umfeld wichtig sind für das Wohlbefinden. Die bisher in etlichen Kantonen und in zahlreichen gebauten Beispielen erfolgreich angewandte Lüftungsfensterpraxis brachte beide Ansprüche zusammen. Das neue Gesetz ermöglicht künftig an lärmigen Lagen den Bau von schlechten Wohnungen. Es liegt nun allein in der Verantwortung der Kantone, steuernd einzugreifen und für eine minimale Qualitätssicherung zu sorgen.

Nachbemerkung: Kein Thema in der ganzen Diskussion war das Offensichtliche und eigentlich vom Gesetz Geforderte. Schädliche Einwirkungen sollten nach Möglichkeit gar nicht erst entstehen. Für den Lärm als unbestritten schädliche Einwirkung bedeutet dies: Bekämpfung an der Quelle. Der Städteverband und andere Kreise engagierten sich für die Berücksichtigung dieses Aspekts (etwa via Tempo 30), allerdings vergebens. Es bleibt bei der einseitigen Lockerung des bauseitigen Lärmschutzes, ohne «Gegengeschäft» bei der Quelle.