Skizzieren auf der Wanderschaft oder das Wandern ist des Architekten Lust, das Wandern!
Mit einer vagen Vorstellung eines Ziels vor Augen – einer buddhistischen Ermitage irgendwo in der Auvergne – machten wir uns vor einem Jahr auf den Weg. Unsere Auszeit begann mit dem ersten Schritt aus unserem Wohn- und Arbeitshaus in Brig am 12. Juli 2019 um 15 Uhr nachmittags mit schwer vollbepacktem Rucksack, Kleidern, Zelt, Luftmatratze, etwas Essen und bewusst ohne Kamera. Im Weitwandern erfahren setzten wir Schritt auf Schritt dem erhofften Ziel entgegen, ohne den Weg zu diesem Ziel zu kennen. Bekannt war einzig unser erstes Zwischenziel ,Chandolin’, wo wir von einer buddhistischen Nonne den Namen der ersehnten Ermitage erfuhren. Nach kurzem Zwischenhalt im Pfynwald wanderten wir durch die südlichen Walliser Seitentäler, meist entlang horizontalter Wasserleitungen (Suonen oder Bissen) bis nach Martigny und von dort im Talgrund der Rhone entlang bis zum Genfersee und via dem linken Ufer nach Genf und von Genf via ,Jakobsweg’ nach Le Puy en Velay und via ,Michaelsweg’ nach Clermont-Ferrand. Die letzten 50 Kilometer durch die Vulkanberge des Zentralmassivs wanderten wir von Ort zu Ort bis wir nach rund sieben Wochen und 1000 Kilometern die Ermitage erreichten.
Selbstredend wurde der Weg unser Ziel. Wir schritten an fast allem zum ersten und wohl auch letzten Mal vorbei. Vorausblickend die ,Terra incognita’, das Neue, noch nicht Bekannte entdeckend - zugleich rückblickend wehmütig Abschied nehmend von einem einzigartigen unwiederbringlichen Moment unseres vergänglichen Lebens.
Während des Wanderns ist der Wanderer vollends mit einer möglichst ökonomischen oder ergonomischen Fortbewegung und gleichzeitig der Wahrnehmung des Durchschrittenen beschäftigt. Steht er still, ruht er sich von den Strapazen aus: schwer beladen in sengender Sommerhitze. Während die Energie einen Schnappschuss oder etliche Schnappschüsse mit Kamera oder iPhone zu knipsen im Normalfall fast immer vorhanden ist, steht der Wandernde ohne Kamera vor einem schier unlösbaren Problem: Wie können ausserordentliche Eindrücke während dem Wandern für sich und die Nachwelt konserviert werden?
Trotz etwa zwanzigjähriger Skizzierabstinenz erinnerte ich mich einer früheren Leidenschaft: Ich setzte mich irgendwo bequem hin, nahm mein A5-formatiges Reisetagebuch, einen Bleistift und vertraute meiner rechten Hand und meinen Augen, die wie selbstverständlich die mehrdimensionale Welt auf das zweidimensionale Papier transformierten, analog Kleists ,allmählichem Verfertigen der Gedanken beim Reden’, wodurch der Geist des Ortes, der ,Genius loci’ aus der subjektiven Perspektive des Skizzierenden während des Skizzierens abstrahiert eingefangen wurde. Überrascht stellte ich fest, dass ich das Skizzieren nicht verlernt hatte und mich darüber freute, eine Erinnerung des Geistes eines Ortes und eines Augenblicks geschaffen zu haben.
Die faktisch bescheidenen Skizzen, verwandeln sich in meiner Phantasie in eine vielleicht realere Realität als ein zufälliger Schnappschuss mit einer Kamera, weil das Skizzieren äusserste Konzentration, Aufmerksamkeit und vor allem eines verlangte: Zeit, die in der resultierenden Skizze und damit einhergehend in meinem eigenen Geist eingraviert bleibt.
vorgestellt von Damian Walliser