Diskurs über Stadtplanung
Radio SRF: Auf dem Viererfeld soll ein neuer Stadtteil entstehen. Wie sieht der idealerweise aus?
Patrick Thurston: In einer lebendigen Stadt, ja überhaupt an allen Orten, hat jedes Haus eine Verantwortung gegen aussen. Wie in einer Beziehung ist das Dazwischen von entscheidender Bedeutung.
So entsteht eine Atmosphäre oder das Ambiente, welches uns 24 Stunden am Tag umgibt. Deshalb ist es so wichtig, dass unsere Städte uns nähren, dass sie uns inspirieren, uns Mut machen und Geborgenheit bieten!
Also, das Erste, was wir von einer Stadt erwarten dürfen ist, dass dem Dazwischen grösste Aufmerksamkeit widmet!
Das Zweite. Wir müssen mit einem neuen Stadtteil die Herzen junger Menschen erreichen. Weshalb? Weil eine Stadterweiterung auch in Jahrzehnten, Jahrhunderten ihre Gültigkeit haben muss. Mindestens ist dies aus sozialen und ökologischen Gründen wünschenswert. Immer häufiger müssen wir feststellen, dass 40-, 50-jährige Bauten nicht mehr den Bedürfnissen und dem Zeitgeist entsprechen!
Die Berner Altstadt ist seit den 13. Jahrhundert beliebt, die Quartiere Länggasse oder Breitsch seit Mitte 19. Jahrhundert.
Also: Qualitätsvolle Städte sind für unsere Herzen wie Musik oder Poesie! Ohne sie verkümmern wir oder werden starr und einseitig. Und sie müssen lange eine Gültigkeit haben.
Drittens braucht es eine Durchmischung und Wandelbarkeit.
SRF: Wie erreicht man dieses Ziel in Ihren Augen am besten?
PT: Dieses Gespür für eine lebendige Stadt, hat nicht nur mit gutem Geschmack oder herausragender Architektur zu tun. Es braucht einen fast körperhaften Instinkt oder Sinn für Stadt – für Beziehungen!
Heute wird die „Produktion von Stadt“ weitgehend von ökonomischen Zusammenhängen dominiert. Institutionelles Kapital sucht Grundstück zwecks langfristig sicherer Rendite, so könnte der Vorgang beschrieben werden. Ob es Genossenschaften oder andere Investoren sind, spielt eine unwesentliche Rolle.
Die Stadt als Landeigentümerin bestimmt in einem Top-down-Prozess die Spielregeln. Die Konzeption der Stadterweiterung wird aber von diesen Mechanismen des Kapitalmarkes geprägt.
Die Architekten wissen nicht mehr, für wen sie planen. Lebendige Architektur antwortet aber auf konkrete Bedürfnisse oder auf präzise Aufgabenstellungen.
Ein Bottom-up-Prozess würde andere Ergebnisse bringen, weil dann für reale Anforderungen geplant werden kann, nämlich für Menschen, die sich im Viererfeld einbringen wollen und Eigenverantwortung übernehmen.
Oder es bedürfte einer starken Vision, welche zu Fragen der Gemeinschaft, Nutzungsdurchmischung und zur Verzichtsbereitschaft, welche künftige Bewohner eingehen, um gemeinschaftliche Nutzungen durch privaten Verzicht zu ermöglichen und zu finanzieren.
SRF: Es gibt ein Wettbewerbsverfahren der Stadt zum Viererfeld wird von 50 Architekten, auch Ihnen, in einem offenen Brief kritisiert. Wo zweifeln Sie am Vorgehen der Stadt?
PT: Unter den Themen, welche die Stadt für das neue Quartier vorschlägt, gibt es viele positive Elemente. So wird eine Kleinteiligkeit gesucht oder der Aneignung des künftigen Stadtteils durch die Bewohner wird ein hoher Stellenwert zuerkannt. Bern will eine Stadt der Beteiligung sein. Das ist das Credo der Stadtregierung für die laufende Legislaturperiode.
Das Wettbewerbsverfahren setzt im Gegenteil dazu aber auf eine Selektion von 25 Teams. Die Kriterien verschärfen durch einschränkende Teilnahmebedingungen den Kreis der Bewerber zusätzlich. Um Anreize für gewisse Büros zu schaffen, ist die Aufgabe mit Projektlupen überfrachtet, die aber doch nicht wirklich attraktiv sind und den Städtebau in den Hintergrund drängen.
Man hatte nicht den Mut, einen einfachen offenen Städtebauwettbewerb zu machen und eine kraftvolle Jury zu bestimmen, welche mutige und robuste Stadtkonzepte erkennen könnte. Dies haben die Architektenverbände SIA und BSA seit mehreren Jahren vorgeschlagen. Und es fehlen vor allem markante Köpfe in der Jury, wie z.B. die Architekten Rem Koolhaas, Luigi Snozzi oder Charles Pictet. In unseren Augen eine verpasste Chance!
SRF: In den letzten Wochen ist ein grosses Thema aufgekommen. Eine allfällige Brücke in den Wyler als Haupterschliessungsachse für das neue Quartier. Sinnvoll in Ihren Augen?
PT: Bern ist eine Brückenstadt. Bei der Planung des Kirchenfeldes im 19. Jahrhundert wurde die Monbijoubrücke bereits geplant. Gebaut wurde sie 1962.
Die Verbindung der Quartiere Viererfeld und Wyler hat ein grosses Potential, das echter Urbanität im Viererfeld eine Chance gibt. Und obendrein müsste geprüft werden, wie man die Flaschenhälse am Bahnhof und in der Spitalgasse dadurch entlasten und aufwerten kann.
SRF: Sollte das Strassennetz so angelegt werden, dass das neue Quartier weiter gebaut werden könnte?
PT: Ja, das sollte man tun. Die Siedlungsverdichtung nach innen wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Und ein Stadtpark muss dort sein, wo er städtebaulich am richtigen Ort ist und nicht dort wo das Grundeigentum es erzwingt.
vorgestellt von Patrick Thurston
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