„Ich möchte frei über Architektur nachdenken, um meine Betrachtungen über Architektur so flexibel, umfassend und scharfsinnig über die Grenzen der architektonischen Stereotypen und all das, was normalerweise unter Architektur verstanden wird, auszuweiten.“ deklariert Junya Ishigami in der Einleitung zum Katalog der Ausstellung „freeing Architecture“. Geboren 1974 ist er Teil der jungen japanischen Architektengeneration, studierte an der Tokyo University of the Arts, arbeitete mit Toyo Ito und Kazuyo Sejima und gründete 2004 sein eigenes Büro. Durch verschiedene aufsehenerregende Projekte wurde vor allem die junge internationale Architekturszene auf ihn aufmerksam.
Die Ausstellung selbst ist ein Erlebnis/Gesamtkunstwerk für sich, weil die zum Teil raumfüllenden Modelle bis zum Massstab 1:7, ergänzt durch sehr feine, fast naiv anmutende Zeichnungen, Baupläne, Videos und Materialmuster von Junya Ishigami in der Glasarchitektur von Jean Nouvel präzise in Szene gesetzt sind. Gebäude und Ausstellung wirken bei Einblicken von Aussen, Innenansichten und Aussichten in den Garten wie eine hintereinander geschichtete Gesamtkomposition.
Architektur versteht Ishigami auch als natürliches Phänomen. Bei einigen Projekten führt aber die „Befreiung“ der Architektur zur Zerstörung der Natur. So wird bei der „Chapel of Valley“, Shandong, China in einen natürlichen felsigen Geländeeinschnitt von ca. 20 Metern Tiefe eine 43 Meter hohe Betonskulptur gesetzt. Im „Villas in Dali“ Projekt werden 300 Meter eines natürlichen Bachbetts in Ferienhäuser umgewandelt. Die mächtigsten raumhohen Steine (welche in den traditionellen japanischen Gärten verehrt werden) haben dabei das Betondach zu tragen haben, um darunter ein Labyrinth von fragwürdigen Innenräumen zu schaffen.
„Freeing Architecture“ scheint aber auch zu bedeuten, dass der Entwurfsvorgang kaum durch Prämissen wie Funktion, Ökonomie und Konstruktion eingeschränkt werden darf, auch wenn diese „befreite“ Projektentwicklung zu unerträglichen Raumgebilden führt. Die an der engsten Stelle 1.3 Meter breite und oben ungeschützte „Chapel of Valley“ ist voraussehbar ein vertikaler klaustrophobischer Raum. Sein Gegenstück in horizontaler Ausdehnung, die „Multipurpose Plaza“in Kanagawa, ein 4000m2 grosser, stützenfreier Raum mit durchhängendem von Wand zu Wand gespanntem Stahlplattendach, dessen Boden der Dachkrümmung folgt, führt unweigerlich zu einem zwiespältigen Raumerlebnis und erinnert an die beängstigenden Raumkrümmungen im Film „Memento“ von Christopher Nolan.
Überzeugender scheinen mir Projekte der Landschaftsarchitektur, wie zum Beispiel die hochtransparente organische Dachstruktur, welche im „Park Groot Vijversburd“ in den Niederlanden dem bestehenden Wegsystem folgt, oder das Kulturzentrum in Shandong, ein lange gedeckte Promenade mit kulturellen Aktivitäten und Restaurants mitten im Sumpfland, bei welcher das Wasser unter den seitlichen Glaswänden ins Gebäudeinnere dringt und die Grenze zwischen innen und aussen aufhebt.
Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt aber das „Art Biotop/Water Garden“ Projekt in Tochigi, weil es nicht Natur konsumiert, sondern einen durch Neubauten bedrohten Waldbereich umsiedelt. Die wiederangesiedelten Bäume widerspiegeln sich in einer amorphen Struktur von zum Teil nur wenige Quadratmeter grossen Kleinst-Teichen, welche durch Grasflächen mit Trittsteinen getrennt sind. Zu allen Jahreszeiten entsteht so ein
unvergleichliches Mini-Landschaftsmuster. Daraus müsste man schliessen, dass Architektur nur dann wirklich frei werden kann, wenn die Natur den Weg weist.
vorgestellt von Walter Hunziker
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