Eine Brücke als Raumfigur
Als Jürg Conzett 2010 an der Architekturbiennale die Ausstellung und das gleichnamige Buch „Landschaft und Kunstbauten“ präsentierte, begegnete ich am River Tamar, der die Grafschaften Cornwall und Devon trennt, einem räumlichen Wunderwerk. Westlich der Stadt Plymouth wird die Eisenbahn in einer langgezogenen Linkskurve über eine Vorlandbrücke mit hohen gemauerten Pfeilern mit Abständen von zirka 20 Metern, welche von genieteten Stahlvollwandträgern überspannt werden auf zwei linsenförmige Fachwerkträger mit einer Spannweite von 138,7 Metern geleitet. Gut 30 Meter über dem Fluss- und Meeresspiegel hängt die Fahrbahn am sanft gebogenen und heftig unter Spannung stehenden Obergurt. Die Züge rattern durch einen Verband aus diagonalen und vertikalen Streben. Als Passagier erlebt man das zweimalige Ab- und Aufsteigen der Untergurt-Kettenglieder, welche die Gegenspieler des mächtigen Rohres des Obergurts sind. Auf der Seite von Saltash folgt eine weitere Vorlandbrücke gleicher Bauart die abermals in einer sanften Linkskurve ins Dorf einmündet.
Die Brücke bildet ein Gesamtkunstwerk, das durch den Auftakt und den Abspann der gebogenen Vorlandbauwerke den Raum und die Brücke in Beziehung setzt zu den beiden Ortschaften, welche sie verbindet. Nie käme es einem in den Sinn hier von einem Infrastrukturbauwerk zu sprechen. Diese Art von Brückenbau ist Stadt- und Landschaftsarchitektur vom Feinsten!
Autor dieses Ingenieurkunstwerks ist Isambard Kingdom Brunel der am 9. April seinen 212. Geburtstag feierte. Brunel starb kurz nach der Eröffnung der Brücke durch Prinz Albert am 2. Mai 1859 im Alter von 53 Jahren.
vorgestellt von Patrick Thurston
Weitere Informationen:
Artikel in der NZZ vom 07.04.2018
Link zum Buch Landschaft und Kunstbauten