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BSA Bern, Architettura altrove, , Patrick Thurston

Italienische Reise – Gran Sasso

Italienische Reise – Gran Sasso
© Patrick Thurston

Gran Sasso - Campo Imperatore

Eigentlich sind wir nur wegen ihm hier in den Abruzzen, weil ich nicht wusste, wo das ist. Gran Sasso, seine Gipfel Corno Grande und Corno Piccolo, das erinnert an das „Horu“ (Matterhorn). Aber nein, Gran Sasso, das ist wirklich ein grosser Stein im Herzen Italiens. Da waren die Leute arm. Sie lebten von der Transumanza (siehe hier), der Peccorino d’Abruzzo nährte sie auf den langen Wanderungen mit den Schafen nach Apulien. „Solche Schnecken wurden gesammelt und im Stall hatte der Nonno eine Kuh,“ sagte Daniele, genau eine solche, mit grossen schwarzen Augen und spitzigen Hörnern. Razza marchigiana, wie auf dem Campo Imperatore, am Fuss des Gran Sasso!

Teil 5: GRAN SASSO - CAMPO IMPERATORE. Hier lebte man seit Menschengedenken von den Schafen. Von Santo Stefano di Sennanio aus steigt eine kleine Strasse bergwärts. In den Geländemulden - da kommt mir das viel schönere, französische Wort „les Combes“ in den Sinn - aber auch an den Flanken der Hügel gibt es zahlreiche grössere und auch ganz kleine Ackerflächen. Ob hier wohl Safran angebaut wird? Oben auf dem Campo Imperatore breiten sich hingegen grosse Wiesen und Weiden aus. Weite Räume in den Ockertönen des Septembers, schüttere Böden, runde Höcker und Löcher von Dolinen und steinige Schwemmebenen, die aus den begrenzenden Bergflanken heraus ins Grasland fliessen.

Dieser Raum wird das „tibetische Hochland“ Italiens genannt und heute bietet sich uns das Respekt einflössende Versteckspiel grosser Wolken- und Nebelschwaden, welche den Gipfel des Corno Grande (2912 M.ü.M.) immer wieder verschwinden lassen. Klare Konturen wechseln ab mit Unschärfe. Überhaupt scheint es, als müsse man sich hier auf stetig wandelnde Dimensionen einlassen. Ein Gänsegeier zieht seine Schleifen und entschwindet im Nebel, während die ersten ganz kleinen Herbstzeitlosen ihre zarten Blütenkelche dem Himmel zuwenden.

Auf 1669 M.ü.M. hat „Peppo“ seinen Verkaufsstand am Rand einer Strassenverzweigung aufgebaut. Tisch, Sonnenschirm, daneben das Auto. Peppo, dessen Name ich nicht erfragt habe, verkauft hier seinen Peccorino und macht auf Wusch ein Pannino. Peppo hat eine auffallend dicke Nase, einen kräftigen, grauhaarigen Schnauz, er ist kleingewachsen und aus seinen geröteten Augenliedern schaut ein Mensch, der Antworten gefunden hat. „Ein Leben wie ein „Uccelino nella Gabbia“ (siehe hier) sei das gewesen. 20 Jahre alt, in der Textilfabrik in Bellinzona, das habe ihm nicht gefallen, er sei nach einem Jahr zurückgekommen.“ Peppo hat 800 Schafe und etwa 20 Hunde. „Ja, solche wie da oben an der Bergkuppe“, meint Peppo, wo sein Hirtenkollege die Hunde auf der Ferne dazu anleitet, die Herden auseinander zu halten.

Peppo hat sich für dieses Leben entschieden. Im Winter ist er unten im Tal. Wo weiss ich nicht. Hier oben habe es im Winter bis zu 10 Meter Schnee, nicht an ein Auskommen zu denken. Ich frage Peppo noch nach dem Namen der wundervollen weiss-grauen Kühe hier auf dem Campo Imperatore, eben genau solche, wie Daniele’s Grossvater im Stall gehabt hat, im Villa Vomano, jenseits des Gran Sasso.

Könnten solche Räume weiter Landschaften uns den Horizont öffnen? Ich würde mich freuen über einen Austausch zu diesen Fragen.

Vorgestellt von: Patrick Thurston